Wo das Wasser aufwärts fließt
Gleich neben dem Haus der Kunst findet man fast immer ein Geschiebe und Gedränge, hochgereckte Köpfe und Smartphones. Denn dort liegt die Eisbachwelle, ein vom Menschen gemachtes Naturschauspiel. Seit Jahrzehnten versammeln sich hier Sommer wie Winter, Tag und Nacht Jungs und immer mehr Mädels, um im Getöse ihr Können unter Beweis zu stellen – oder auch nicht.
Denn die Eisbachwelle hat es nicht nur in jeden anständigen München-Führer geschafft, sondern auch in den Stormriders Guide, die Bibel der Surfer. Ein Ritt auf der sogenannten E1 gilt als anspruchsvoll, kaum einer hält sich länger als einige Sekunden auf dem Brett, dann stürzt er in die Fluten und der nächste darf sein Glück versuchen. Um in den Minutenbereich zu gelangen, Kickflips oder gar einen 360er hinzukriegen, muss man lang geübt haben.
Wo eine Welle ist, ist auch ein Weg …
München ist von einem System unterirdischer Bäche durchzogen, die von der Isar gespeist werden. 1789 entwarf der kurfürstliche Gartenbaumeister von Sckell für den Englischen Garten ein Bachsystem (Führung: Park- und SchlossTour), dazu gehören der Oberstjägerbach, der Schwabinger Bach und eben auch der Eisbach. Dort, wo letzterer ans Tageslicht tritt, bildete sich durch eine Steinstufe eine donnernde Welle, ihr ging jedoch der passende Strömungsgrad fürs Surfen ab.
Das änderte sich in den 80ern. Walter Strasser ist ein Münchner Unikat mit verwegenen Lebenslinien und gilt als der Hausmeister der Welle. Er hat damals eine klobige Metallschiene am Flussufer installiert, mit der er die Strömung regulierte und die Welle surfbar machte. In einer Aktion am helllichten Tag, bei der niemand daran dachte, dass sie keineswegs von der Stadt genehmigt worden war.
Hausmeister Strasser mag den inzwischen recht großen Trubel an seiner Welle überhaupt nicht, heute baut er lieber Didgeridoos auf Sardinien. Aber er hat ein bisschen Münchner Stadtgeschichte geschrieben.
Vom Brettlreiten zum City-Surfing
München gilt als Geburtsort des Flusssurfens und die Eisbachwelle hat es zu Ruhm gebracht. Die eigentliche Ur-Welle befindet sich aber im Thalkirchner Floßkanal. Dort stiegen Anfang der 70er die allerersten Stadt-Surfer Münchens auf ihre Bretter, man nannte sie damals die Brettlreiter. Durch ein am Ufer befestigtes Seil hielten sie sich auf einfachen Holzbrettern auf der Strömung, als der erste es freihändig schaffte, war das River-Surfing geboren.
Nicht viel später fand man Surfer in der Stadt auch andernorts, z.B. an der Wittelsbacherbrücke, wenn sich bei Hochwasser die Isar auftürmte. Es war das Guerilla-Surfing einer unangepassten Jugend – oft verfolgt von der Polizei. 2010 wurde dieser Ort im Rahmen der Renaturierung der Isar stillgelegt, der Münchner Fotograf Rainer Spitzenberger hat die Surfer von einst aber in der großartigen Fotoserie Epic Days verewigt.
Einen anderen berauschenden Einblick in das Lebensgefühl der Helden vom Eisbach gewinnt man in der Reportage Keep Surfing. Bjoern Richie Lob erzählt in spektakulären Bildern und rasantem Schnitt von den Pionieren der Eisbachwelle, von den Abenteurern, Außenseitern und Freigeistern. Einige davon haben den Sprung in die Welt geschafft und gehören heute zur internationalen Surferszene. Halten Sie aber dennoch die Augen offen, wenn die Isar Hochwasser führt.
Die grantigsten Surfer der Welt
Es heißt, dass die Eisbachsufer zu den grantigsten der Welt gehören (wir können das nicht bestätigen), schon Hausmeister Strasser hatte ein strenges Regiment geführt. Man munkelt, es kam auch zu Tätlichkeiten, wenn sich einer nicht an die Regeln halten wollte.
Das musste vor einigen Jahren der Münchner Schickeria-Rapper Felix Krull am eigenen Leib erfahren, der die Welle für einen Werbe-Auftritt missbrauchen wollte. Eine Münchner Episode, in der zwei Stadtwelten aufeinander prallen und wie sie schöner nicht sein könnte. Sie kennen den Begriff des Fremdschämens?
Noch bis 2010 surfte man am Eisbach unter Verbotsschildern – die Welle war längst zur Attraktion geworden und das Tourismusbüro warb damit. Es ging um Haftungsprobleme, denn die Eisbachwelle war im Besitz der Bayerischen Schlösser und Seenverwaltung. Durch einen Grundstückstausch mit der Stadt München konnte das Problem gelöst und das Surfen genehmigt werden.
Die Surfer verpflichteten sich allerdings zu einer Art Selbstkontrolle, bei der kein Anfänger auf der Eisbachwelle reiten sollte. So leicht es aussehen mag, die Strudel, Strömungen und Steine sind durchaus gefährlich. Daher wird so manch einer zur Floßlände in Thalkirchen geschickt, um nochmal zu üben. Oder ein paar Hundert Meter weiter zur kleinen Eisbachwelle am Dianabad, E2 genannt. Bis vor kurzem ein Spot, über den man Stillschweigen bewahrte, denn das Surfen ist dort eigentlich nicht erlaubt. Also Obacht: Es kann sein, dass man vom Ordnungsamt aus dem Wasser gefischt wird.
Am Eisbach wird‘s eng …
Im Tourismusgeschäft wimmelt es an Superlativen, dementsprechend zurückhaltend sollte man damit umgehen. Sei‘s drum: Die Eisbachwelle ist die am meisten besurfte Welle der Welt. Schätzungsweise gibt es in München inzwischen 2.000 Flusssurfer, vor etwa 10 Jahren waren es weniger als halb so viele.
Daher hat die Stadt bereits die Thalkirchner Ur-Welle für das Surfen freigegeben, sie ist jedoch noch nicht das ganze Jahr befahrbar. Es wird gerade überlegt weitere stehende Wellen im Stadtgebiet für die Surfer zu optimieren – auch eine Art der innerstädtischen Entlastung. Am wahrscheinlichsten ist die Wittelsbacher Schwelle, die muss nach 100 Jahren ohnehin saniert werden. Auch die E2 wäre möglich – allerdings beschweren sich die Anwohner jetzt schon und da gibt es wieder das leidige Haftungsproblem des Freistaates.
Erfolgsgeschichten finden immer ihre Nachahmer. So wollen z.B. auch die Wolfratshausener durch eine eigene stehende Welle mitziehen, es wird von einer „einzigartigen Chance mit gigantischem Imagegewinn“ gesprochen … Nun ja, das Original werden‘s sowieso nicht.
Das ist die Eisbachwelle in München. Sie gehört zur Stadt wie das Hofbräuhaus und der Viktualienmarkt und das Zuschauen macht einen Riesenspaß. Wenn Sie in der Gegend sind: Gönnen Sie sich unbedingt einen Abstecher!
Ihr Team vom Spurwechsel-Blog