Die Hochwasser-Katastrophe des 13. Septembers 1813
Als man sich 1813 zum Oktoberfest rüstet, ist das Wetter der Wiesn nicht gewogen. Eine Hitzewelle versprach noch im August ein rauschendes Fest, Anfang September türmen sich jedoch dunkle Wolken auf. Über Tage prasselt Regen auf die Stadt, Stürme brausen über sie hinweg. Und der Pegel der Isar steigt rapide.
Lehmgelbe Fluten donnern durch München. Sie reißen Uferböschungen und Gebäude mit sich, überfluten die untere Au bis zum ersten Stock. Dachstühle und Baumstämme schießen auf den Wellen, beschädigen Dämme, Wehre und Isarbrücken. Freiwillige stemmen sich Tag und Nacht gegen weiteres Unheil, für andere ist das alles ein Spektakel.
Es lockt am 13. September Hunderte an die Ufer und auf die Schwanenbrücke zwischen Kohleninsel und Isartor, Warnungen über ein bedenkliches Wanken der Konstruktion werden aber in den Wind geschlagen. Um halb sieben kommt es zur Katastrophe. Die steinernen Pfeiler geben nach, die Schwanenbrücke stürzt in die Fluten und reißt die Schaulustigen mit sich. 20 Leichen spült die Isar ans Oberföhringer Ufer, insgesamt werden 93 Menschen Opfer des Hochwassers und ihrer Neugier.
»Isara rapidus«, die Reißende, wie Kelten und Römer die Isar angeblich nannten, entlud an diesem Tag eine Gewalt, der Mensch und Menschengemachtes nicht gewachsen waren.
München, die Isar und das Hochwasser
München ist eine der Städte, die sich erst eine Brücke und ein Mauthäusel aufstellten (im hiesigen Fall nicht ganz legal umgesetzt) und es dann genoss, dass der Fluss Mühlräder und Pumpen bewegte sowie Handelsgut hinein- und Unrat jeglicher Couleur hinaustransportierte. Ein Quell der Macht und florierender Finanzen, den Preis des Segens erkennt man jedoch beim Blättern durch die Chroniken, an den regelmäßigen Vermerken über verheerende Überschwemmungen durch das »frei gewaltig wazzer« aus dem Karwendelgebirge.
Aus gutem Grund hielt sich das alte München in sicherer Entfernung auf der Altstattterrasse und ließ die Isar in einem breiten Bett an der Stadt vorbei mäandern. Über Jahrhunderte bastelten die Münchner dennoch ausgiebig ihr herum. Wehre und Senkbäume befüllten das System der Stadtbäche, Kiesinseln lenkten ungenehme Flussarme sachte um, erste Uferbefestigungen schützten kritische Stellen wie die Floßlände, zeitweise eine der Größten in Europa.
Dass dadurch die Au, Thalkirchen, Harlaching und Oberföhring von Zeit zu Zeit auf dem Trockenen saßen oder im Hochwasser verschwanden, begegneten die Münchner mit erstaunlicher Sturheit. Bei einer plötzlich auftretenden Flutwelle 1598 blieb den Auern nichts anders übrig, als sich auf Bäumen in Sicherheit zu bringen, das Dorf gehörte aber noch nicht zum Stadtgebiet und ein Entgegenkommen war eine Frage der Kostenübernahme.
Von Isarkorrektionen und Direktionslinien
Bis zum 19. Jahrhundert behielt die Isar das Gesicht des Wildbachs, der sie eigentlich ist. Aber München entwickelte sich und wuchs von rechts und links in das Gebiet hinein, das seit jeher die Isar für sich beanspruchte.
»Öde Gründe« sollten nun trockengelegt, für die Vergrößerung und bauliche Verschönerung der Großstadt nutzbar gemacht werden, Spekulanten warfen begehrliche Blicke auf Renditeträchtiges im Überschwemmungsgebiet. Einmal überlegte man sogar, den rechten Arm der Isar gänzlich zuzuschütten. Für die Isar brachen zwei Jahrhunderte mit Zucht und Ordnung in versteinerten Ufern an.
Den Auftakt machten Kurfürst Max Joseph und sein Wasserbaumeister 1806. Sie begradigten die Isar bei Bogenhausen und wiesen ihr eine »angemessene Normalbreite« zu. Ausgerechnet hatte man sich, dass dadurch mehr Schubkraft entstünde, sie sich tiefer eingrübe und außerdem die lästigen Sand- und Kiesbänke verschwünden. Funktionierte hervorragend – weitere Effekte konnte man 1813 beim Einsturz der Schwanenbrücke und der Verwüstung der Au besichtigen.
Das Hochwasser 1813 gab den Anstoß für Jahrzehnte, in denen man durch immer neue wasserbauliche Maßnahmen die Isar zu bändigen versuchte. 1851 und 1853 warf sie sich besonders unbarmherzig über die Au und Thalkirchen. Alles nur Folge »außergewöhnlicher Naturereignisse« besänftige der Stadtbaumeister, schließlich kam aber auch im Münchner Süden der (bis dahin recht zäh verlaufende) Hochwasserschutz in Gang. Eine Rolle spielte sicherlich auch, dass 1853 die Deiche im Stadtgebiet nicht mehr hielten, »der Bach in die Stadt kam« und auch Tal, Lehel und Herzogspark zunehmend von Hochwassern heimgesucht wurden.
Hochwasser 1899, 1940 & 1954
und ein neues Bollwerk in den Bergen
Ein weiteres Rekordhochwasser 1899 grub sich in das Gedächtnis der Stadt ein. Es schwappte über die Dämme, riss die Spitze der Kohleninsel weg, Thalkirchen, Au, Maximiliansanlagen wurden zu einem riesigen See. Der »Anblick war großartig traurig, aber auch wildschön«. Erneut stürzten Brücken ein, die brandneue Luitpoldbrücke von 1891 sowie die Max-Josephs-Brücke. Bemerkenswerterweise passierte es wieder an einem 13. September, wer zum Aberglauben neigt, überquert die Isar an diesem Tag eher ungern – oder unterirdisch.
1899 schuf neue Maßstäbe, ein großzügiges Hochwasserschutz-Programm startete auf der gesamten Länge der Isar. Dazu gehörten auch sechs neue Isarbrücken, sie bestimmen bis heute das Stadtbild im Zentrum. Dramatische Tage 1940 und 1954 zeigten aber, dass all die Wehre, Dämme, Kaimauern, Regulierungen und vorab berechneten Durchflussmengen noch nicht reichten. Beide Male stieg das Wasser höher denn je, Schlamm, Schlick und fauliger Gestank machten sich wieder in den Straßen und Wohnungen der Münchner breit.
Nun ging der Freistaat das Hochwasserproblem an der Wurzel an, nämlich in Lenggries. Man baute den Sylvensteinspeicher, seit 1959 macht das Isarwasser auf seinem Weg nach MÜnchen München eine Pause im Stausee. In den späten 1990ern erhöhte man den Damm und mittlerweile fasst er 125 Millionen Kubikmeter.
Der Sylvensteinspeicher reguliert, was sonst ungezügelt auf die Stadt zukommen würde. München kann sich daher sogar im Sommer über ausgeglichene Pegelstände und mehr als genug Trinkwasser freuen. Und das Bollwerk in den Bergen bewahrt die Stadt vor Leid und Zerstörungen.
Bei der großen Pfingstflut 1999 bahnten sich jede Sekunde bis zu 800 Kubikmeter Wasser ihren Weg durch München, hätte man den Damm nicht erhöht, wären es sogar 950 gewesen. Praterinsel, Deutsches Museum und die Gebäude am Ufer wären überschwemmt worden – man schrammte an einer Katastrophe vorbei. Hätte man den Sylvensteinspeicher nicht gebaut: jede Sekunde hätten sich 1.550 Kubikmeter Wasser durch München gewälzt.
Kathedralen in Münchens Unterwelt
16 Meter unter dem Hirschgarten findet man etwas Spannendes, eine Kathedrale mit Säulen und gespenstischen Ecken. Denn manchmal kommen die Wassermassen nicht aus dem Oberland, sondern prasseln direkt auf München nieder; solche Starkregenereignisse ereignen sich etwa 15-mal im Jahr (Tendenz steigend). Damit die Kanalisation nicht überfordert wird und die Straßen flutet, hat München in den 1990ern mit Millionensummen 14 unterirdische Speicherbecken gebaut.
Sie fassen insgesamt bis zu 700.000 Kubikmeter, als flute man ein Fußballfeld 70 Meter hoch. Das Becken unter dem Hirschgarten ist eines der Größten Europas. Zum 20-jährigen veranstaltete München den »Tag der offenen Rückhaltebecken« und öffnete die Schleusen dieser kühlen, modrigen Unterwelt auch für Besucher.
Back to Nature – über den Wert der Freiheit
Nach 1954 war in Punkto Hochwasser wenig passiert – außer ein paar vollgelaufenen Kellern in privilegierten Wohnlagen war München 45 Jahre lang verschont geblieben. Das Hochwasser an Pfingsten 1999 stellte den einen Warnschuss dar, der ein lang gehegtes, wir finden das schönste Hochwasserschutzprojekt in Gang brachte: die Renaturierung der Isar.
Vom Großhesseloher Wehr bis zum Deutschen Museum entledigte man die Isar ihres Bettes aus Beton, gab ihr ihre Biegungen, Weideninseln, Auen und Kiesbänke zurück. Die Arbeiten dauerten von 2000 bis 2011, jetzt darf sie über acht Kilometer wieder mäandern und sich auf breiter Fläche in (fast) ursprünglicher Gestalt zeigen.
Schon beim Hochwasser 2005, als die Bauarbeiten noch gar nicht abgeschlossen waren, zeigte sich, dass dieser Weg seinen Zweck erfüllte. Der Pegel stieg auf 5,36 Meter, Keller liefen voll, Auenwege wurden unterspült und Bäume entwurzelt. Die große Katastrophe blieb jedoch aus, denn das Wasser konnte sich auf den Flächen ausbreiten, die ihm die Stadtbaumeister zurückgegeben haben.
Für die Stadtentwicklung und den Hochwasserschutz darf man die Renaturierung als historisch bezeichnen, was München da unternahm, wurde mit Interesse verfolgt und sogar der trostlose LA River darf nun wieder Hoffnung schöpfen.
Deiche und Kaimauern, unterirdische Wasserspeicher und ein großer Beschützer in den Bergen, dazu eine weite Flusslandschaft mitten in der Stadt: München sollte sogar für ein 200-jähriges Hochwasser gerüstet sein. Aber warum immer das Schlimmste erwarten.
Gehen Sie mit uns lieber auf eine Radtour entlang der Isar, dorthin, wo es (nun wieder) plätschert, sprudelt und flimmert. Dann erzählen wir Ihnen noch viele weitere Geschichten über die Liebesabenteuer der Münchner an und mit der Isar.
Ihr Team
vom Spurwechsel München-Blog