Über ein jahrhundertealtes Geschäft … und Riesengaudi
Als wir um halb zehn unsere drei Flößer an der Floßlände in Wolfratshausen treffen, liegen bereits einige Stunden Arbeit hinter ihnen. Sie haben das Gefährt seit den frühen Morgenstunden zusammengebaut und für die Fahrt ausgerüstet; sie erwarten uns mit Bier, Brotzeit und eine Band.
Nur drei Wolfratshausener Familienunternehmen bauen ihre Flöße noch nach jahrhundertealter Tradition. Mächtige, mit der Hand geschäpste Fichtenstämme werden aneinandergereiht und an Querbalken befestigt, zum Navigieren gibt’s vorne zwei, hinten ein Ruder. Eine moderne Ergänzung ist der kleine Außenborder, der bei Bedarf von hinten etwas anschiebt. Unser Floß misst 18 mal 7 Meter, wiegt um die 20 Tonnen und mit unseren Gästen sind die Bänke gut gefüllt.
Ein solches Floß legt die fast 30 Kilometer von Wolfratshausen nach München in der Saison vom 1. Mai bis zur Eisfahrt im September etwa 100-mal zurück, bei Wind und Wetter, Absagen gibt es nicht, außer, es herrscht Hochwasser. Heute sind wir an der Reihe.
Unverbaute Natur und freier Blick auf Naturisten
in der Pupplinger Au
Nach den wichtigsten Sicherheitshinweisen legen wir von der Floßlände in Wolfratshausen ab, mit geschickten Handgriffen, viel Kraft und ordentlichem Rudertalent. Die Band nimmt die Arbeit auf, erzählt die ersten Witze (schon dafür lohnt sich die Fahrt) und auch eine der drängenden Fragen ist nun beantwortet: das kleine Häuschen in weiß-blau ganz hinten ist ein stilles Örtchen.
Um Wolfratshausen liegt eines der letzten Landschaftsschutz-Gebiete Bayerns, die Pupplinger Au. Dieser Isarabschnitt ist wohl der ursprünglichste im Münchner Einzugsgebiet; der Fluss teilt sich in viele Arme, ein dichtbewachsener Auwald mit Grün in allen Schattierungen flankiert ihn.
Trotz des schönen Wetters entdecken wir auf den Kiesinseln nur zwei der Nackerten, die sich in der Pupplinger Au seit den 1970ern ein gewisses Gewohnheitsrecht erarbeiten konnten und gegen welche die Stadt Wolfratshausen und das Landradsamt nur bedingte Erfolge erzielen konnten – von unseren Flößern werden die beiden übrigens mit Namen gegrüßt.
„Im Sommer koa’n Mo – im Winter koa Geld …“
Das Flößerhandwerk im bayrischen Oberland
Das Wissen und Können der Flößer wurde in Wolfratshausen über die Generationen bewahrt, die heutigen Isarfloßfahrten führen eine Tradition unserer Gegend fort, die 2014 von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe erhoben wurde.
Flüsse waren schon im Mittelalter wichtige Transportwege, Isar und Loisach jedoch vielerorts noch reißend und für Schiffe nicht befahrbar. Stabile Flöße waren die Alternative, um Bier und Baumaterialien, aber auch die Schätze des Südens und Orients zu den neuen städtischen Eliten zu bringen. Darunter Samt und Seide, Gewürze, Öle und Wein, Bundmetall, Gold- und Silberwaren aus dem Handel mit den italienischen Metropolen, insbesondere Venedig. Und diese Variante war auch doppelt lukrativ, denn die Stämme konnte man am Zielort gleich als Baumaterial verkaufen.
Um Zahlen zu nennen: Allein für den Bau der Münchner Frauenkirche ab 1473 schafften 147 schwer belade Flöße 7.000 Baumstämme aus den Bergen heran; um die 3.500 Flöße jährlich landeten in Wolfratshauen an – man kann sich nur schwer vorstellen, was damals auf der Isar losgewesen ist.
Ledige Weibspersonen am Steuer!
Die Zunftordnung der oberbayrischen Flößer
Am Isarspitz, wo die Loisach in die Isar mündet, biegt unser Floß auf den Isarkanal und die Geschwindigkeit nimmt spürbar ab. Es ist Zeit, die Badesachen anzuziehen und das Floß schwimmend zu begleiten, „Auf- und abspringen während der Floßfahrt“ wurde uns explizit erlaubt. Hier dürfen auch die ersten „Weibspersonen“ einmal probeweise ans Ruder – in früheren Zeiten im Namen seiner Majestät des Königs von Bayern aufs Strengste verboten.
Es kommt vor, dass ledige Weibspersonen bei den Floßfahrten zur Lenkung der Flöße verwendet werden. Da aber weibliche Individuen im allgemeinen als des Floßfahrens kundig und hinlänglich rüstig hiezu nicht genommen werden können (…), so sieht sich die unterfertigte Stelle veranlaßt, auf die Unzulässigkeit der Verwendung lediger Weibspersonen zur Lenkung der Flöße hiermit aufmerksam zu machen. München, den 13. Dezember 1841
Während heutzutage unsere Teilnehmerinnen die Ruder spontan ergreifen, durfte früher erst dann, wenn einer „abgeleibt“ war, ein anderer an seine Stelle nachrücken. Als Zunftsmitglieder unterlagen die Flößer auch besonderen Verhaltensregeln: 35 Pfennige waren für Reden bei der Arbeit fällig und dazu kamen noch „5 Pfennige für einmal Fluchen“. Wobei letzteres doch eine Kunst ist, in der die Bayern bis heute führend sind.
Nochmal strenger war die Wolfratshausener Zunftordnung bei Alkohol am Steuer: „Flößer, die sich unterwegs in den Herbergen betrinken und schlechtes Verhalten an den Tag legen, werden mit Wasserbaden bestraft.“ In schlimmen Fällen wurden Fahrverbote verhängt. Als Joseph Friedrich Lentner 1848 die Isarflößer für den Kronprinzen Maximilian studierte, musste er dennoch vom „Überhandnehmen sittlicher Gebrechen, Trunksucht und Rauflust“ berichten …
Logistische Wunder in der Wirtschaft
… und dann wurd’s ernst
Mittags kehren wir auf halber Strecke bei Straßlach in einer der letzten altbayerischen Wirtschaften im Mühltal ein. Sie liegt an einem herrlich gottverlassenen Eck an der Isar – beliebt bei Wanderern und Radlern und bekannt für logistische Wunder unter Kastanienbäumen. Zackig werden von den Bedienungen die Getränke gebracht, hinterher kommt einer der ehrlichsten Schweinebraten unserer Karriere, für die Vegetarier gibt’s Rahmschwammerl mit Knödel. Unser Veganer musste da halt auch durch.
Vom Biergarten können wir bereits einen Blick auf die wohl heikelste Stelle für unser tonnenschweres Gefährt werfen: die längste Floßrutsche Europas am Wasserkraftwerk Mühltal. Seit den 1920ern rauscht man in einer Schussfahrt mit bis zu 40 Sachen durch die enge Floßgasse hinunter, über eine Länge von 345 Metern überwindet man fast 18 Meter. 35 Sekunden Achterbahn-Feeling.
Zwar hat die ansonsten recht flotte Unterhaltungsmusik unserer Eventfahrt zu „Time to say Goodbye“ gewechselt, alle Beteiligten haben diese und die folgenden, etwas kleineren Floßrutschen aber unversehrt überstanden – durchgerüttelt, johlend, scheppernd, am Schluss mit einer großen Welle übers Floß und einer Riesenstimmung!
Für einen anderen Betriebsausflug ging sie aber weniger glimpflich aus. Die Münchner Illustrierte Nr. 30 vom 27. Juli 1957 berichtete über „einige Verletzte und zahlreiche Entnervte“.
Die Furchtlosen, Geschickten und Gutverdienenden
Gefahren an und auf der Isar
Auf den heute meist ruhigen Gewässern zwischen Wolfratshausen und München mag man bei Bier und Brotzeit vergessen, dass die Isar ein tückischer Gegner sein konnte. Die Steuermänner mussten blitzschnell auf Stromschnellen und Wirbel reagieren, jäh Felsbrocken und Baumleichen ausweichen. Viele Votivtafeln und Marterl entlang der Isar zeugen davon.
Im Topo-geographisch-statistischen Lexicon des Königreichs Bayern von 1831 ist Folgendes zu lesen: „… bei dem Michaelsstein, Georgstein und Grünwald sind für die Floßfahrt gefährliche Stellen; oft stürzt hier der Fluß mit Gewalt auf die Felsen an, so dass die Flöße scheitern.“
Eine dieser fahrtechnischen Herausforderungen passieren wir, den Georgenstein bei Baierbrunn, landschaftlich einer der schönsten Abschnitte, in dem die Isar noch weitgehend frei fließen darf. Oft hat man überlegt ihn zu sprengen, man erhielt ihn aber als Naturdenkmal. Heute sieht man noch den rund 25 Meter langen und mehr als acht Meter breiten Leitdamm aus Felsbrocken, mit dem man die Isar für die Flöße links der „Mini-Loreley“ vorbeigelenkt hat. Kräftige Arme und Rudertalent sind aber bis heute angebracht.
Immerhin: Als Gefahrenausgleich konnten die Flößer gut verdienen und waren keineswegs arme Leute. Jedenfalls dann, wenn sie nach der Landung in München schleunigst den Lohn einsteckten und ohne einen Umweg zu einer der Spelunken in der Au ins Oberland zurückwanderten.
Als der Floßfahrt auf der Isar das Wasser abgegraben wurde …
Über das Ende der Flößerei
Wasserstand und Strömung bestimmten schon immer das Reisetempo auf dem Floß. Wir haben Glück, der gemächliche Lauf des Niedrigwassers hat unsere Fahrtzeit verlängert – auch der Außenborder konnte da nur wenig ausrichten.
Nach 16.00 Uhr biegen wir am Isarflößer, einer Bronzeskulptur des Bildhauers Fritz Koelle, in den Ländkanal ab und sind fast am Ziel angelangt, der Zentrallände in Thalkirchen nahe des Tierparks. Es gibt sie erst seit 1899, vorher legten die Flöße an der Unteren Lände nahe der Ludwigsbrücke im Lehel an, wenn diese überfüllt war und nach ihrer Schließung 1870 wichen Sie auf die Obere Lände aus, sie war gegenüber des heutigen Deutschen Museums.
Die Verlegung zeugt vom Niedergang der Floßfahrten auf der Isar. Landeten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts jährlich bis zu 8.000 Flöße in München an (die späte Blütezeit des Gewerbes durch den Ausbau der Residenzstadt unter König Ludwig I.), verkümmerte die alte Kunst durch die Errungenschaften der Moderne. Die Dampfschifffahrt und Eisenbahn schoben sie aufs Abstellgleis, die Regulierung des Wasserlaufs durch den Bad Tölzer Stausee oder den Sylvensteinspeicher grub ihr das Wasser ab. Eine der letzten Floßfahrten, die Aufsehen erregte, war 1904 der Transport eines riesigen Kupferdeckels zur internationalen Spirituosen-Ausstellung nach Wien.
Die Renaissance der Floßfahrten …
und legendäre letzte Meter
Etwa zur gleichen Zeit begannen die Vergnügungsfahrten auf der Isar. Schon seit 1640 hatten z.B. 24 Tölzer Zunftflößer das Recht, zweimal in der Woche nicht nur das geschätzte Bier, sondern auf sogenannten Ordinari-Flößen auch Personen nach München zu bringen. Wer erster Klasse reisen wollte und konnte, durfte unter einem Holzdach oder in einer beheizten Hütte Platz nehmen. Einmal die Woche fuhren sogar Fernreiseflöße nach Freising und via Deggendorf auf der Donau weiter bis nach Passau, Wien und Budapest.
Gegen Ende der 1950er Jahre erfuhr das Handwerk der Flößer eine Renaissance durch die Münchner Studentenverbindungen, die bis heute anhält – die Eventfloßfahrten auf der Isar waren geboren.
Seit wir auf dem Isarwehrkanal durch den Süden von München fahren, besuchen uns badende Kinder auf dem Floß, amüsierte Schaulustige säumen das Ufer und winken herüber. Zugegeben, auch der eine oder andere fassungslose Blick streift uns, denn die Stimmung ist auf einem Höhepunkt angelangt.
Wir vermeiden an dieser Stelle den Vergleich zum Oktoberfest, aber Stadtführer, Trambahnfahrer und Servicekräfte tanzen, dass sich die Balken biegen, und wir singen aus vollem Hals zur Stimmungsmusik. Weitere Details verbuchen wir jedoch als Betriebsgeheimnis … die müssen Sie selbst erleben.
Wenn wir Ihnen Lust gemacht haben, dann kontaktieren Sie uns!
Ihr Team vom Spurwechsel-Blog
PS Aber nicht zu lange warten – die Floßfahrten ab Wolfratshausen auf der Isar zwischen 1. Mai und September sind immer rasend schnell ausgebucht. Schließlich gehören sie bei vielen unserer Kunden schon zur Betriebs-Ausflugs-Tradition.