Kinder, das Rohr ist da!
Dieser Satz stammt – so die Überlieferung – von James Graser, einem legendären Münchner Playboy und genialen Verkörperungen der Münchner Schickeria. Angeblich begrüßte er damit die blonden Schönheiten am Pool des Bayerischen Hofs. Und Sie vermuten richtig, er meinte das Rohr in einer Bedeutung, bei der Backen erröten, sich Nasen rümpfen, Stirnen in Falten legen oder Mundwinkel verziehen. Bei der die Augen aber unweigerlich ein Stück abwärts wandern.
Damit wäre die Münchner Schickeria der 70er und 80er Jahre eigentlich schon gut umrissen. Dieses kleine, aber höchst unterhaltsame Grüppchen gab sich der Sinnenlust hin und genoss das Leben auf hohem Niveau. Manchmal im Gewand des gewohnheitsmäßigen Sexismus eines Playboys, immer etwas zu derb, zu protzig, zu laut. Und dadurch verursachte man auch über die Stadtgrenzen hinaus Reaktionen, das war ja unter anderem auch Sinn und Zweck der Sache.
Von James Graser (mit bürgerlichem Namen übrigens Hansl) und seinen feierwilden Kollegen sind unzählige Geschichten bekannt – sie handeln von schnellen Autos und schönen Frauen, wilden Partys und sauberen Räuschen. Daher kommt vermutlich auch der Begriff Schickeria. Der Schriftsteller Gregor von Rezzori fasst ihn in seinem Idiotenführer durch die deutsche Gesellschaft als Verbindung des französischen chic, also elegant oder modisch, und schickern, was im Jiddischen sich betrinken bedeutet.
Prinzipiell einfach: Wer reinkommt, ist drin (in der Schickeria)
Zur Münchner Schickeria gehörten diejenigen, die man allabendlich in den In-Lokalen wie Kay’s Bistro oder Roy und auf den Szene-Partys traf. Auf den Gästelisten standen Schöne wie das Busenwunder Barbara Valentin und Wilde wie Uschi Obermaier, einige Alt- und viele Neureiche, Skandalnudeln und illustre Gestalten. Eines der Unikate war z.B. der Teilzeit-Gastronom und Lebenskünstler Poldi Waraschitz, der sich als Schnorrerkönig durch die Buffets schlemmte und recht anständig vom Geld seiner reichen Freunde lebte, indem er für sie den Hofnarren spielte.
Auch den internationalen Jet-Set zog es nach München. Die einheimische Schickeria wurde durch Besuche von Hollywood-Stars wie Jack Nicholson und Sean Connery, Berühmtheiten wie Brigitte Bardot, Leonard Bernstein, Tina Turner und Soraya geadelt. Giorgio Moroder nahm mit den Rolling Stones und Queen im Hotel Arabella Platten auf und Freddie Mercury zog mit seinen Freunden durch die Nächte.
Flankiert wurden sie vom Tross der A-dabei-s, also denjenigen, die auch dabei sein wollten. Dass das nicht einfach war, besang die Spider Murphy Gang 1982 in ihrer Hymne über die Schickeria. Sie beginnt mit den Worten: Ja in Schwabing gibt’s a Kneipen / Die muss ganz was besondres sein / Da lassens solche Leit / Wie di und mi erst gar net nei.
Auffallen um jeden Preis – die große Inszenierung der Schickeria
In der Münchner Schickeria herrschte ein reges Kommen und Gehen, denn sie war eine gierige Gesellschaft. Viel musste man investieren, um dazuzugehören und manch einer hatte sich da auch gehörig verhoben. Niemals durfte man sich ausruhen, um nicht abgehängt, verlassen und vergessen zu werden.
Der Münchner Modezar Rudolph Moshammer begleitete die Schickeria von Anfang. Er verstand es als einer der ersten zu klotzen und mit liebenswerter Exzentrik zu unterhalten. Bei der Eröffnung seines Carnaval de Venise 1968 in der Maximilianstraße fuhr er in einer weißen Kutsche über einen roten Teppich vor, inszenierte sich mit toupiertem Haar wie sein Vorbild König Ludwig II und führte einen Gepard an der Leine durch den Laden. Mosi liebte das. Und seine Kunden aus der Schickeria auch.
Gerd Käfer, der das elterliche Kolonialwaren-Geschäft seit den 60ern zum Gastronomie-Imperium ausbaute, ließ einmal die 200 Gäste seiner Geburtstagsfeier in der Oper von Maskenbildnern ins andere Geschlecht verkleiden, dann fuhren sie in Bussen von Lokal zu Lokal. Gunter Sachs lud als Dracula verkleidet zu Partys in sein Loft, in dem er hunderte Kerzen aufstellen und das Menü von Musical-Darstellern servieren ließ. Beim goldenen Fest eines Industriellen war von den Wänden bis zur Kleidung und dem Essen alles aus Gold.
Die un-heimliche Hauptstadt
In ihrer Dekadenz, Maßlosigkeit und Extrovertiertheit war die Schickeria Ausdruck einer Zeit, in der München aufblühte. Die Jahre des Wiederaufbaus waren überstanden, Geld und Wirtschaftskraft reichlich vorhanden, Studenten, Freigeister und Künstler schätzten die liberale(-re) Atmosphäre der Großstadt und durch die Olympischen Spiele stand München im Blick der Weltöffentlichkeit. Angesichts des etwas blassen Bonn begannen sich die Münchner als heimliche Hauptstädter zu fühlen, wie der Spiegel schon 1964 erkannte.
Die Schickeria gedieh auf dem damals unerschütterlichen Selbstbewusstsein der Münchner, die zwischen glamouröser Weltläufigkeit und unfreiwilliger Provinzialität hin und hergerissen waren. Allabendlich traf man sich nun, um Abenteuer zu erleben, ohne zu wissen, wie das geht. Aber geführt von Leuten wie Mosi, Sachs und Käfer, die ganz genau wussten, dass es geht.
Münchens Schickeria dieser Jahre wurde getragen von Originalen und Exzentrikern, die zu opulenten Festen einluden. Den Künstlern der Selbstinszenierung, die ungeniert ihr Geld für dicke Autos und Frivolitäten (solche gab es damals noch) verprassten. Den berühmten Gästen, die die große Welt nach München brachten. All dieser Pomp war für die Münchner etwas gänzlich Neues, das sie beeindruckte und begeisterte.
Die Kolumnisten und Chronisten der Schickeria
Münchens Schickeria – man wollte Aufsehen erregen. Schon 1952 wurde in die Münchner Abendzeitung eine Gesellschaftskolumne aufgenommen, in den deutschen Medien die erste ihrer Art. Hier berichtete zunächst Johan Baptist Obermaier oder kurz Hunter über das, was die Münchner am Tag vorher versäumt hatten. Das Geschäft mit dem Klatsch blühte: zeitweise wurden seine Kolumnen von 40 Zeitungen nachgedruckt und trugen die Kunde in die Welt hinaus.
Um die Spalten zu füllen, war er Gast 1.000er Feste, setzte sich tagsüber an die Bar im Bayrischen Hof und notierte, wen er mit wem, wann gesehen hatte. München ist die einzige deutsche Stadt, in der Klatschkolumnisten ernstgenommen werden, konstatierte 1971 die Zeit.
Als Hunter zur Bild wechselte, übernahm bei der Abendzeitung der junge Michael Graeter. Seine Pirsch nach den schlüpfrigsten Geschichten und Skandalen der Schickeria inspirierte den Regisseur Helmut Dietl zu seiner sechsteiligen Fernsehserie Kir Royal. Eine gnadenlos bissige Persiflage auf diese Schicki-Micki-Gesellschaft der 1980er in München, selbstverständlich überzeichnet, aber im Kern sind die Geschichten über das wilde Leben der oberen Zehntausend so geschehen. Ein Glanzpunkt deutscher Fernsehunterhaltung – unbedingt anschauen!
Die Seele einer Stadt ist ein kleines Universum aus Parallelwelten, ein Konvolut aus Erzählungen und ein Mosaik von Einzelbildern. Wenn Sie das nächste Mal den Begriff der Schickeria hören, dann denken Sie nicht an die gepflegte Langeweile in der Maximilianstraße und im P1, sondern an die legendären Feste und skurrilen Exzentriker, die damals in München das Nachtleben erobert hatten.
Wenn Sie selbst einmal ein rauschendes Fest geben möchten: Werfen Sie einen Blick auf unsere Veranstaltungen und Events in München. Dass in der Presse über Sie berichtet wird, können wir zwar nicht garantieren, auf Wunsch servieren wir Ihnen aber einen dieser bappsüßen Kir Royals!
Ihr Team
vom Spurwechsel München-Blog